Die Hirnforscherin Dr. Zsófia Clemens hat herausgefunden: „Der aus Ungarn stammende Nobelpreisträger Albert Szent-Györgyi (1893-1986) hat sich in einer Frage ganz sicher geirrt – es hat keinen Sinn, Vitamin C einzunehmen.“ Die Anwendung als Nahrungs-Ergänzungsmittel trägt nicht zur Gesundheit bei, wenn es auch nicht leicht ist, diesen Gedanken in der Heimat Szent-Györgyis zu akzeptieren. Vitamin C wurde geradezu zum Symbol eines gesunden Lebens, insbesondere in Ungarn. Seit Jahrzehnten hielt sich die irrtümliche, niemals bewiesene Vorstellung, dass wir durch die Einnahme von Vitamin C als Nahrungsergänzung Krankheiten vorbeugen können. Entgegen allen wissenschaftlichen Ergebnissen, die das widerlegen, hat sich das Vitamin-C-Fieber in letzter Zeit noch verstärkt. Als sich unter den Forschern auszubreiten begann, dass Vitamin C selbst in einer Dosis von mehreren tausend Milligramm nicht wirksam ist, kam der Gedanke auf, dass es intravenös, in großer Dosis verabreicht, wirksam sein würde. Das trat aber nicht ein.
Eine umfassende Analyse der Hirnforscherin, Neurobiologin und wissenschaftlichen Leiterin des Teams von Paleomedicina im Zusammenhang mit Vitamin C ist im März 2017 in der Wissenschaftlichen Zeitschrift der Amerikanischen Gesellschaft für Evolutions-Medizinwissenschaft (Ancestral Health Sociaty: AHS) erschienen. Wir befragten sie als Koautorin des Artikels über Vitamin C.
Die in der wissenschaftlichen Zeitschrift Journal of Evolution and Health erschienene Studie
Paleomedicina: Würdest du bitte erklären, was die wichtigsten Feststellungen der umfassenden analytischen Arbeit sind?
Zsófia Clemens: Wenn wir wirklich gesunde Speisen essen, dann gelangen wir zu genügend Vitamin C aus unserem Essen. Freilich müssen wir dazu erst einmal zurechtrücken, was zu einer gesunden Ernährung gehört. Wenn wir uns nicht gesund ernähren, dann ist es hingegen völlig egal, ob wir Vitamin C einnehmen, da das in Tabletten oder Kapseln verabreichte Vitamin C nicht wirksam ist. Schon das Herangehen selbst ist falsch, dass wir von einem einzigen, aus seiner natürlichen Umgebung herausgegriffenen Nährstoff ein Wunder erwarten. Wenn wir uns ernähren, dann nehmen wir die Nährstoffe nicht in isolierter Form zu uns. Wenn wir über die Wirkungen von Vitamin C nachdenken, müssen wir enorm viele Wechselwirkungen berücksichtigen, und zwar solche, die zwischen dem Vitamin C und den anderen Nährstoffen ablaufen, die Absorption, die biologische Nutzung und die Ausscheidung. Diesbezügliche Untersuchungen hat am Menschen niemand vorgenommen, doch wegen ihrer Kompliziertheit wäre das auch schwierig. Es hätte vielleicht auch keinen Sinn, da es gegenwärtig keine wissenschaftliche Untersuchung gibt, die oral eingenommenes oder intravenös verabreichtes Vitamin C bei irgendeiner Krankheit oder der Senkung der Sterberate wirksam oder nützlich gefunden hätte. In dem Artikel behandeln wir alles, was man über den Zusammenhang zwischen den einzelnen Krankheiten und dem Vitamin C wissen kann.
Paleomedicina: Wie kann es sein, dass man dennoch viele Untersuchungen lesen kann, wonach Vitamin C bei bestimmten Krankheiten eine heilende Wirkung hat?
Zsófia Clemens: Es gibt ein großes Problem mit all diesen Untersuchungen. Und zwar besteht es darin, dass die Ergebnisse der Behandlung und der Querschnitts-Untersuchungen vermengt werden. Deshalb scheint es, als ob es in der Literatur ein Durcheinander gäbe. Aber das gibt es nicht. Die Querschnitts-Untersuchungen zeigen ohne Ausnahme, dass ein höherer Vitamin-C-Spiegel im Blut mit einer besseren Gesundheit einhergeht, die Untersuchungen zur Behandlung wiederum zeigen ausnahmslos, dass die Verabreichung von Vitamin C keinerlei Nutzen bringt. Aus dem Ergebnis des Herangehens auf zweierlei Art und Weise folgt, dass Vitamin C wichtig für die Gesundheit ist, jedoch in künstlicher Form, als Ergänzungsmittel verabreicht, nicht dazu beiträgt, Krankheiten fernzuhalten. Einer der größten Fehler bei den publizierenden Forschern besteht darin, dass sie aus der Korrelation auf Ursache-Wirkung folgern. Die voreingenommenen Vitamin-C-Anhänger bauen in Ermangelung eigener Erfahrungen auf diesem Irrtum auf, wenn sie das Einnehmen von Vitamin C propagieren. Die Evolution hat während Jahrmillionen den Weg des Vitamin C im menschlichen Organismus herausgebildet. Der Nachschub von Vitamin C in Tablettenform läuft der Natur zuwider.
Paleomedicina: Du behauptest eine noch extremere Sache! So dürfen wir nämlich Vitamin C nicht in Gemüse und Obst suchen.
Zsófia Clemens: Ja, so ist es. Das Vitamin C in pflanzlicher Umgebung verhält sich von biochemischen Gesichtspunkt aus völlig anders als das in Nahrung tierischer Herkunft. Diese Unterschiede greifen wir der Reihe nach in unserem Artikel auf. Am wenigsten bekannt ist, dass sich selbst die Hitzebehandlung anders auf pflanzliches und auf tierisches Vitamin C auswirkt. Damit im Zusammenhang müssen wir uns wieder über eine alte Routine hinwegsetzen: Nicht alles Vitamin C zerfällt Hitzeeinwirkung, sondern nur das in Gemüse und Obst bzw. das, was ergänzend vorhanden ist, daher wurde nicht empfohlen, Vitamin C in den heißen Tee zu geben. Vitamin C in tierischen Quellen erweist sich als überraschend hitzebeständig. Wenn wir regelmäßig geschmorte Kalbsleber essen, bekommen wir ganz sicher keinen Vitamin-C-Mangel.
Paleomedicina: In welchen tierischen Nährstoffen gibt es noch Vitamin C?
Zsófia Clemens: Außer der Leber in der Haut, im Hirn und in der Niere. Auch in diesen Organen kommt Vitamin C konzentriert vor, weil sie es speichern. Aber auch in den Drüsenorganen ist es in hoher Konzentration zu finden. In früheren Zeiten zählten sie zu den beliebten Speisen, wie beispielsweise Thymusdrüse vom Kalb, heutzutage aber stoßen sie bei vielen auf Abneigung. In diesen Innereien findet sich eine Menge Vitamin C, die die Blutwete sogar um das 50fache übersteigt.
Paleomedicina: Du hast fast ein Jahr an dem Artikel gearbeitet. Wie sehr warst du dir der Schlussfolgerung sicher?
Zsófia Clemens: Es gab starke Anhaltspunkte. Ich muss auch sagen, dass die Forscher, die die Ernährung und die Kost der Naturvölker ganz aus der Nähe untersuchten, alle zu der Schlussfolgerung gelangten, d.h. dass Vitamin-C-Ergänzung bei Ernährung tierischen Ursprungs unnötig ist. Der einzige Kliniker, der vor uns mit paläo-ketogener Ernährung heilte, Voegtlin, kam in den 70er Jahren ebenfalls auf diese Schlussfolgerung. Auch das Beispiel unserer über lange Zeit betreuten Patienten sprach dafür. Im Zusammenhang mit der Einnahme von Vitamin C haben wir auch reichlich negative Erfahrungen. Beispielsweise wurde ein von uns betreutes Mädchen mit Epilepsie, die bereits längere Zeit auf paläo-ketogener Diät war, solange nicht frei von Anfällen, wie sie nicht auf die Einnahme von Vitamin C verzichtete. Das Wissen aus Erfahrung, die Rückmeldung der Patienten halte ich für sehr wichtig. Die Beratung im Zusammenhang mit Vitaminen halte ich ohne diese für unvorstellbar. Ich würde jeden davor warnen, mit Vitaminen zusammenhängende Ratschläge von Ratgebern anzunehmen, die nicht über ärztliche Erfahrung verfügen. Mit unzuverlässigen Informationen, die aus dem Internet zusammengetragen und in der Praxis nicht bestätigt wurden, kann man ohne entsprechendes Hintergrundwissen sehr daneben liegen. Die Einnahme von Vitaminen ist bei weitem keine so harmlose Sache wie sich das die meisten vorstellen.
Paleomedicina: Inzwischen bist du auf ziemlich viele Gegenmeinungen von Seiten der wissenschaftlichen Kritiker gestoßen. Welche Gründe siehst du dafür?
Zsófia Clemens: Wahrscheinlich war das deshalb so, weil sie mit eingerostetem Gehirn denken. Anders ist es unerklärlich, dass man offensichtliche Tatsachen mit entgegengesetztem Vorzeichen bewerten kann. Wenn etwas nicht wirkt, dann wirkt es nicht, wie oft wir es auch untersuchen. Man muss das nicht überkomplizieren. Doch die Erscheinung selbst ist nicht unbekannt. Die Cholesterinsenker sind nach allen Untersuchungen wirkungslos, wohingegen sie Gegenwirkungen erzeugen, und doch gibt es nicht so viele Ärzte oder Forscher, die die mit der Einnahme von Cholesterinsenkern verbundene negative Meinung auf sich nehmen würden. Diese Daten widersprechen einfach der herrschenden Meinung in der heutigen Medizin. Die auf der Basis von Fleisch und Fett beruhende Ernährung ist den Forschern völlig fremd. Leider bewegen sich auch die Anhänger der Paläo-Ernährung häufig auf Irrwegen. Wir haben einzigartiges Glück auf diesem Gebiet, denn wir können aus einem großen Bestand von Patientenmaterial, aus zahlreichen Laboruntersuchungen schöpfen, um Schlussfolgerungen zu ziehen, die Bestand haben und gut sind.
Paleomedicina: Was hat dich dazu bewegt, diese Arbeit anzufangen?
Zsófia Clemens: Als ich damit begann, der Sache nachzugehen, was für wissenschaftliche Zusammenfassungen über Vitamin C existieren, fand ich keine Konsequenz. Ich sah, dass in erster Linie die Vertreter der Alternativmedizin (Naturheilkundler) oder damit sympathisierende Ärzte das Vitamin C lieben. Denn diese Tendenzen kommen aus dem fernen Osten und neigen zu Ernährungsformen, die den Vegetariern nahe sind. Diese Einstellung auf Gemüse und Obst versuchen sie mit gewissen Fakten, die mit Vitamin C zusammenhängen, zu vermengen. Das Ergebnis ist katastrophal. Die Schlussfolgerung der Artikel ist regelmäßig nichtssagend und erklärt zumeist, dass wir, obgleich wir bereits seit fast hundert Jahren forschen, leider immer noch nicht wissen, ob Vitamin C bei Krebs, Herzinfarkt oder Erkältung gut ist oder nicht. In den Menschen lebt ein außerordentlich verzerrtes Bild über Vitamin C, eine komplette Irreführung. Und das ist auch in Ungarn nicht anders. Ich möchte klar sehen, und das auch im Interesse unserer eigenen Patienten, ob man Vitamin C im Interesse der vollständigen Rehabilitation und der Gesunderhaltung verordnen muss.
Paleomedicina: Ist bei Krebs auch das intravenöse Vitamin C wirkungslos?
Zsófia Clemens: In aller Kürze lässt sich darüber sagen, dass es keine einzige Untersuchung darüber gibt, wonach die intravenöse Gabe von Vitamin C den Ausgang der Krebserkrankung wesentlich beeinflussen würde. Vitamin C verlängert weder intravenös verabreicht noch anders das Leben der Krebspatienten.
Paleomedicina: Wie ist die Situation mit den anderen Vitaminen?
Zsófia Clemens: Auch auf diesem Gebiet sehen wir ein babylonisches Wirrwarr. Doch die Situation ist einfacher als bei Vitamin C. Bei den Vitaminen D, B12, B6 sowie bei Magnesium, Kalzium, Kalium und Eisen hatten wir leichteres Spiel. Es genügte, die Laborergebnisse zu überprüfen. Aus ihnen wussten wir, dass man auch sie nicht gesondert verabreichen muss, weil die gut angewendete paläo-ketogene Diät in jedem Fall ein physiologisches Niveau sichert. Die Messung von Vitamin C aber ist noch nicht vollständig gelöst, zudem sie, wie sich herausstellte, nicht einmal viel verraten würde, wenn wir es bei Patienten im Blut messen würden und uns darauf verließen.
Paleomedicina: Liposomales Vitamin C?
Zsófia Clemens: Die liposomale Verabreichung beruht auf der irrigen Konzeption, dass die Gabe von Vitamin C zur idealen Absorption kontinuierlich geschehen muss. Doch das muss sie nicht. Auch die Inuit gelangen nicht täglich zu Vitamin-C-haltiger Nahrung. Dagegen verfügen die Inuit und alle Menschen gleichermaßen über die Fähigkeit, Vitamin C in bestimmten Zellen und Organen zu akkumulieren. Auch das steht im Gegenwatz zum unerschütterlichen Irrglauben, wonach Vitamin C, weil es sich um ein wasserlösliches Vitamin handelt, schnell den Organismus verlässt.
Paleomedicina: Intravenöses Vitamin C, liposomales Vitamin C, Vitamin C von Szent-Györgyi – dann ist das alles ein „eiserner Ring aus Holz“? Also unwirksam und sinnlos?
Zsófia Clemens: Ja.
Paleomedicina: Glaubt man das heute im Schatten von Albert Szent-Györgyi, eines Hirnforschers, hier in Ungarn?
Zsófia Clemens: In meiner Kindheit wusste ich nicht einmal, dass es andere Arten von Vitaminen gibt. Meine Eltern, beide Ärzte, gaben es nicht regelmäßig, sondern mehr sporadisch. An der Universität lernten wir in Pflanzenphysiologie seine Synthese, die seinerzeit so kompliziert erschien, dass ich das Gefühl hatte, es sei unmöglich, das zu erlernen. In anderem Zusammenhang erinnere ich mich nicht, auf der Universität damit zu tun gehabt zu haben. Als ich die paläo-ketogene Diät kennenlernte, kam es erneut zum Vorschein. Mich überwältigte die über Generationen von mehreren Jahrhunderten vererbte Erfahrung der Naturvölker in der Ernährung. Besonders starke Wirkung hatte auf mich die kanadische Forscherin Karen Fediuk, die die Ernährung der Inuit unter dem Gesichtspunkt des Vitamin C untersuchte. Um auf eine der vorangegangenen Fragen zurückzukommen: Es war die erste wissenschaftliche Arbeit, die ich auf diesem Themengebiet für widerspruchsfrei und zugleich glaubwürdig hielt. Rundum gab es die Bestätigung dafür, dass bei uns, Anhängern der paläo-ketogenen Ernährung in der ersten Generation in Mitteleuropa, die Biologie, die mit Vitamin C im Zusammenhang steht, genauso funktioniert. Die menschliche Rasse ist sehr einheitlich. Wir tun gut daran, dass wir bei unseren Patienten die Prinzipien der Evolutionsmedizin konsequent anwenden und uns in unserer Tätigkeit nicht vom Kommerz leiten lassen.
Das Interview auf English - the interview in English
Das Interview auf Ungarisch - Az interjú magyarul
Übersetzung: Michael Graeme
Das Team von Paleomedicina übt seine Tätigkeit ausschließlich auf wissenschaftlicher Grundlage aus. Wir wenden keinerlei naturheilkundliche Methoden an, sondern distanzieren uns von ihnen. Die von Paleomedicina vertretene Richtung, das evolutionäre Heilen, ist Teil der echten Wissenschaft. Unsere in internationalen Fachblättern erschienenen Publikationen können Sie hier lesen.
2018-01-28